3. Platz: : „Vom Küchenfenster aus Grenzen überwinden“, in Manila, Philippinen. Foto und Text: Lisa Wagner
„Das Mittagessen mit den Kollegen ist vorbei, ich räume das Geschirr in die Küche. In einer halben Stunde kommen die Kids, die Afternoon Class, 35 Mädchen und Jungen zwischen zwei und fünf Jahren, die hier die Vorschule besuchen. Die Küche liegt genau über dem Klassenraum, in dem ich jeden Tag die beiden Lehrkräfte unterstütze. Unsere Schule wird finanziert von einer kleinen, philippinischen NRO, die Familien der Kinder müssen keinerlei Geld für den Unterricht, die Materialien oder Schuluniformen bezahlen. Sie liegt mittendrin in dem Teil Metro Manilas, der weithin als „Slum“ bekannt ist, in Balut, im Stadtteil Tondo. In meinem Rücken, auf der anderen Seite des Gebäudes, raucht in diesem Moment der Smokey Mountain, nach dem die Gegend hier benannt ist. Er raucht je nachdem, wie der Wind sich dreht, direkt in meine Klasse, die keine Fensterscheiben mehr hat. Es ist ein Berg aus Müll, wortwörtlich, die ehemalige städtische Müllkippe. Aber jetzt, in der Regenzeit, ist er über und über bewachsen, oben auf dem Berg stehen kleine Häuser. Ein erstaunlich grüner Fleck in dieser Gegend Manilas und man gewöhnt sich an ihn. Beim Blick aus dem Fenster in der Küche dagegen bedeutet die Regenzeit, dass eventuell wieder ein Zuhause einer Familie weggespült wurde. Viele unserer Kids wohnen dort. Im Hintergrund sieht man einen Teil Metro Manilas, der aus hohen, glitzernden Glasgebäuden besteht. Irgendwo dazwischen – nicht nur geografisch gesehen – wohnen mein Tandempartner und ich, in Dimasalang, einem Stadtteil, der für die Eltern unserer Kids erstrebenswert, für die Taxifahrer aus Makati ein no-go ist. Heute nach der Arbeit treffe ich eine Freundin aus Deutschland, die für drei Monate in Makati, dem Wirtschaftszentrum der Philippinen, in der deutschen Botschaft arbeitet. Ich fahre mit der Bahn, sie verbindet, ohne anzuhalten, beide Stadtteile. Einmal stand mein Kollege hier oben neben mir in der Küche, er zeigte durch das Loch im Fliegenschutzgitter nach draußen, in die Ferne: „One day I live there, when I am a rich man.“ Seitdem frage ich mich, ob der das Loch in das Gitter geschnitten hat, um besser raussehen zu können. Er beneidet mich um die Freiheit, mit der ich mich bewege, zwischen Manilas Stadtteilen, zwischen den philippinischen Inseln, auf denen ich in den Schulferien Urlaub gemacht habe, zwischen hier und Zuhause, zwischen den Kontinenten, den Welten. Jeden Tag schaue ich hier raus, aus diesem Schulgebäude, welches ein Symbol sein soll für einen ersten Schritt für die Kids, sich irgendwann, eines Tages, ebenso frei bewegen zu können, von hier weg, bis nach dahinten, zu den Hochhäusern. Ich frage mich immer, was sie da sollen, ganz allein, ohne ihre Familien.“ (Lisa Wagner).