Vamos Juntos – Anti-Diskriminierungsarbeit mit und für Schuhputzende in Bolivien

Es war ein warmer Sommertag im Februar, als ich die Straßen von La Paz entlanglief und irritiert innehalten musste. Ich war 22 Jahre alt und reiste gerade mit dem Rucksack durch Südamerika. Auf dem Platz „San Francisco“ nahm ich Personen wahr, welche fast gänzlich maskiert auf dem Boden saßen. Einige scherzten untereinander, andere gähnten vor Langeweile und andere beobachteten den Trubel der Stadt. Sie alle trugen Sturmmasken, die Kapuzen verbargen ihr Gesicht bis hin zu ihren Ohren. Trotz der sommerlichen Mittagshitze und einer Höhe von 3.600 Metern waren sie in lange und dunkle Kleidung gehüllt. Vor ihnen standen kleine bunte Holzkisten, auf denen Farben, Cremes und Putztücher platziert waren. Wenn von Zeit zu Zeit ein in elegantem Anzug gekleideter Mann vor ihnen anhielt, verwandelte sich dieser in einen potenziellen Klienten. Und im Handumdrehen zauberten die maskierten Personen mit flinken und geschickten Bewegungen neuen Glanz auf die Schuhe.

Viele von ihnen bevorzugen es, anonym und unerkannt zu bleiben. Manche halten ihre berufliche Tätigkeit gar vor Familie oder Freundinnen und Freunden geheim. Aus Angst vor Stigmatisierung, denn sowohl in La Paz als auch andernorts in der Region sind Personen, die den Beruf der Schuhputzer*in wählen, mit vielfältigen Formen von Diskriminierung konfrontiert.

„Vamos Juntos“ bedeutet so etwas wie „Lasst uns gemeinsam gehen“. Die Organisation arbeitet mit 400 Schuhputzerinnen und Schuhputzern und deren Familienangehörigen in La Paz zusammen und leistet Anti-Diskriminierungsarbeit, zu großen Teilen in Form von sozialer Straßenarbeit. Ihr Ziel ist es, die Lebensbedingungen von Schuhputzerinnen und Schuhputzern in den Bereichen Bildung, Gesundheit und gesellschaftliche Teilhabe nachhaltig zu verbessern.

Als ASA-Teilnehmerin setzte ich mich im Projekt „Rescatando Mis Memorias“ (übersetzt: „Meine Erinnerungen bewahren“) für die gesellschaftliche Sichtbarkeit von Schuhputzerinnen und Schuhputzern ein. Die Idee des Projektes war es, insbesondere älteren Schuhputzerinnen und Schuhputzern die Möglichkeit zu geben, ihre ganz persönliche Lebens- und Berufsgeschichte zu erzählen und diese Geschichten in Form von zweisprachigen Reportagen (spanisch/deutsch) aufzubereiten. Dabei sollten die Schuhputzerinnen und Schuhputzer als handelnde Akteurinnen und Expertinnen bzw. Experten ihrer eigenen Lebensrealität zu Wort kommen, von denen die Lesenden lernen können.

Nachdem ich gemeinsam mit den Koordinatorinnen der Organisation in den ersten Tagen die Ziele und das Vorgehen des Projektes konkreter abgesteckt hatte, begann für mich die soziale Straßenarbeit. Um potenzielle Interviewpartnerinnen – und Partner kennen zu lernen, begleitete ich die Sozialarbeiterinnen, wenn sie ältere Schutzputzerinnen und Schuhputzer bei der Arbeit aufsuchten oder Hausbesuche machten. Nur durch sie war es mir überhaupt möglich, Kontakte zu den Schuhputzerinnen und Schuhputzern zu knüpfen. Ich berichtete ihnen von meinem Projekt und begann mit denen, die sich zur Teilnahme am Projekt bereiterklärten, mehrmals wöchentlich Zeit zu verbringen und sie bei ihrer Arbeit zu begleiten.

Ich setzte mich meist einfach zu ihnen auf die Straße und wir unterhielten uns. Begegnungsmomente gab es zudem, wenn die Personen für Beratungen, Informationsveranstaltungen oder gemeinsame Feste ins Büro der Organisation kamen. Nach etwa zwei Monaten Kennenlernzeit begann ich mit den biographischen Interviews. Als Gesprächseinstieg nutzte ich großformatige Schwarzweißfotos vom La Paz der 1940er und 1950er Jahre und fragte die Schuhputzerinnen und Schuhputzer, was sie darüber denken. Die Gespräche zeichnete ich auf und begann anschließend das Schreiben der Reportagen.

Da die Interviewphase letztlich sehr viel mehr Zeit einnahm als ursprünglich geplant, war es mir nicht möglich alle Reportagen bis zum Ende des Projektes fertigzustellen. Außerdem blieb die Übersetzung der von mir zunächst in deutscher Sprache geschriebenen Texte offen. Um das Projekt fertig stellen zu können, arbeitete ich noch zwei weitere Monate ehrenamtlich an den Reportagen und Übersetzungen. Zur Veröffentlichung der Texte kam es bisher trotzdem nicht, da die Zusammenarbeit nach den fünf Monaten im Sand verlief. Zwei der sechs Reportagen konnte ich jedoch auch in meiner Zeit in La Paz mit den jeweiligen Interviewpersonen teilen, in dem ich ihnen bereits ins Spanische übersetzte Texte vorlas und in ausgedruckter Form übergab.

Auch wenn das Reportagenprojekt nicht vollständig fertig gestellt werden konnte, habe ich das Projekt als sinnvoll erlebt. Heute denke ich, dass aus Projektsicht sicher eine nachhaltigere Kooperation hätte aufgebaut werden können, wenn nicht ich, sondern eine (bolivianische) Person vor Ort dieses Projekt über einen längeren Zeitraum umgesetzt hätte.